Meine Lebensgeschichte.

 

Mein Name ist Johann Hieronymus Schroeter. Als Sohn des Advokaten Paul Christoph Schroeter und seiner Frau Regina Sophia, am 30. August 1745 in Erfurt geboren. Ich war das jüngste von drei Kindern und wurde wegen meines schwächlichen Gesundheitszustandes gleich am folgenden Tag frühmorgens getauft.5_bild05
Der berühmte Erfurter Mediziner und Professor Johann Hieronymus Kniphof stand Pate und gab mir seinen Namen mit auf den Lebensweg. Ab dem 6. Lebensjahr besuchte ich die Schule der Predigerkirche und wechselte im Frühjahr 1758 auf das Erfurter Ratsgymnasium. Mein Vater starb als ich 12 Jahre alt war und hinterließ uns Kindern nicht viel; aber dafür vererbte er uns Tugenden wie: Beharrlichkeit, Genauigkeit bei mechanischen Arbeiten und eine große Liebe zur Musik und Astronomie. Später immatrikulierte ich mich als Student der Theologie an der Universität Erfurt. Nach 5 Semestern ging ich zur Fortsetzung meiner Ausbildung – jetzt aber auf dem Gebiet der Jurisprudenz – nach Göttingen an die Georgia-Augusta-Universität und wurde „ob paupertatem gratis“ – wegen Armut kostenlos – in das Matrikel der Hochschule eingetragen.
Meine Liebe zur Astronomie wurde besonders durch die Professoren G. A. Kästner und G. C. Lichtenberg sowie durch Beobachtungen an der Universitäts-Sternwarte in Göttingen geweckt und gefördert.
Nach Abschluss aller staatlichen Prüfungen und nach 10 Jahren Verwaltungstätigkeit im Kurfürstentum Hannover verhalfen mir meine guten Rechtskenntnisse, dass ich am 1. Mai 1782 nach Lilienthal kam, wohin ich mich bereits 1781 beworben hatte und mir wegen des kleinen Amtes am Rande des Teufelmoores ausreichend Zeit für astronomische Beobachtungen erhoffte.
Meine um 13 Jahre ältere Schwester Elisabeth besorgte mir schon in Erfurt den Haushalt und ging mit mir, um gleiches in Lilienthal zu tun.
Muss sich heute der Verwaltungschef vom Landkreis Osterholz mit der nichtssagenden Anrede „Landrat“ begnügen, hatte ich es doch wesentlich blumiger:

Königlich Großbritannisch und churfürstlich Braunschweig-Lüneburgischer Oberamtmann des Amtes Lilienthal im Herzogtum Bremen.

Lilienthal war damals ein kleiner Flecken am Rande des Teufelmoores. Ich hatte das Glück hinter der Klosterkirche, im Amtsgarten, ausreichend freie Flächen vorzufinden, um schon bald mit der Planung und dem Bau eines eigenen Observatoriums zu beginnen. Meine guten Beziehungen zu Wilhelm Herschel verhalfen mir zu wichtigen optischen Teilen, aus denen ich mir zwei recht gute Spiegelteleskope verfertigte.
1785 hatte ich dann endlich mein erstes eigenes Observatorium im Amtsgarten. Es war ein zweigeschossiger 23_uranlustFachwerkbau und ich nannte ihn in Verehrung des großen dänischen Astronomen Tycho Brahe „Uranienlust“.
(Tycho Brahe hatte auf der dänischen Insel Hven sein Observatorium „Uranienborg“ genannt)
Mit dem von mir hochverehrten Arzt und Astronomen Dr. Matthias20_Olbers Wilhelm Olbers aus Bremen, der sich besonders gut auf das Berechnen von Kometenbahnen verstand, verband mich eine enge Freundschaft.
Schon bald entwickelte Lilienthal sich zu einem wahren Zentrum der Astronomie mit internationaler Bedeutung.

In aller Bescheidenheit darf ich darauf hinweisen, dass von Olbers und mir damals entscheidende Impulse für die Astronomie des 19. Jahrhunderts ausgingen. Meine Arbeiten über die Mond-, Jupiter- und Venusobservationen wurden von Johann Elert Bode, Herausgeber der Astronomischen
Jahrbücher in Berlin mit sehr viel Engagement veröffentlich. Das führte dazu, dass ich die große Ehre hatte, am 6.Juni 1787 Mitglied der Akademie Nützlicher Wissenschaften zu Erfurt und bald darauf auch in der Königlichen Akademie Göttingen zu werden.
Ganz besonders gefreut habe ich mich aber 5 Jahre später über die Einladung zur 400-Jahrfeier der Erfurter Universität im September 1792.
Warum diese Reise für mich so erfreulich war, werden Sie verstehen, wenn ich Ihnen vorlese, was die „Erfurter Gelehrten Zeitung“ am 3.Oktober 1792 über den Ablauf der Feierlichkeiten berichtete:

„Am dritten Tag, dem 19. September, ging der Zug ebenfalls, wie des Tages vorher, aus dem Hause des Herrn Rectors Magnifici in das Collegium Anselminum, wo die juristischen Promotionen, 14 an der Zahl vor sich gingen. Die Juristenfakultät, so wie die ganze hiesige Universität, machte sichs bey dieser Gelegenheit zur besonderen Ehre, ihrem gelehrten Landsmann, dem Oberamtmann Johann Hieronymus Schroeter in Lilienthal, der längst als einer der ersten astronomischen Beobachter in und außer Deutschland berühmt ist, und sich gegen die hiesige Stadt, Universität und Akademie immer sehr patriotisch bewiesen hat, als Doctorem juris utriusque zu proklamieren und ihm das Doktordiplom (beider Rechte, des kanonischen und weltlichen) als Merkmal der Hochachtung ungesucht und unentgeltlich zu verleihen.“

Ich will Ihnen, meine hochwohlgeboren Herrschaften, aber auch nicht verschweigen, dass mir am 11.Juni 1786 ein Sohn aus einer wenngleich nicht gesetzmäßigen, doch wahren, auf zeitlebens eingegangenen christlichen Ehe mit Ahlke Lankenau aus Lilienthal-Oberende geschenkt wurde. Wir haben ihn auf den Namen Johann Friedrich taufen lassen.
So kam es, dass ich Karl Ludwig Harding, der bekannterweise schon19_harding über gute astronomische Kenntnisse verfügte, als Erzieher meines Sohnes auch auf der Sternwarte einsetzen konnte. Der gute Harding war es, der später auf meiner Sternwarte den Kleinplaneten Juno entdeckte.
Als mein Sohn Johann Friedrich gerade 7 Jahre alt geworden war, hatte ich das geschafft worauf ich jahrelang jeden übrigen Reichsthaler zurückgelegt hatte, und was nun mit Hilfe des hochgeehrten Physikprofessors Gottlieb Friedrich Schrader aus Kiel, der sich bei mir für 10 Monate einquartiert hatte und der mit Hilfe meines Gärtners Harm Gefken den großen Spiegel für mein 27-füßiges Teleskop verfertigte, endlich gelungen war.
Im Frühjahr 1793 stand das zweite Observatorium im Amtsgarten. Ein ungeheures Holzgerüst für ein freistehendes Fernrohr, welches bei einer Brennweite von 8,25m über einen Spiegel mit einer4_20fuss_Reflector_at_Lilienthal freien Öffnung von 20 Zoll – also 50cm – verfügte. Es wurde über den Mittelpunkt einer Drehachse, die sich in einem Turmgebäude 4,0mx4,0m Bodenfläche und einer Höhe von 8,0m befand, über einen Drehkreis von 20m bewegt. Das Teleskop selbst war am unteren Ende durch Flaschenzüge in jede Neigung zu bringen und mit Hilfe eines manuell verschiebbaren Wagens auf jede Himmelsposition leicht einzurichten.Die dieser Konstruktion zugrunde liegende Idee einer Schnellwaage mit einem vollkommenen Gewichtsausgleich ermöglichte ein spielend leichtes Bewegen in jede gewünschte Himmelsrichtung.3_03
Es war das größte Teleskop auf dem europäischen Festland und die Position meiner Lilienthaler Sternwarte, der einzigen in den Herzogtümern Bremen und Verden, wurde fortan in jedem internationalen Handbuch für Sternkunde und Navigation verzeichnet.
Das Aufsehen war weltweit und aus ganz Europa kamen nun prominente Besucher häufig in die kleine Wörpegemeinde.

Inzwischen hatte ich im Jahr 1795 auch mein drittes Observatorium22_TEMPEL fertig gestellt und nannte es „Urania-Tempel“. Es war ein runder Holzbau mit einem Durchmesser von 7.00m. Die Einzelsegmente des Kegeldaches waren aufklappbar.
Viele Veröffentlichungen von mir folgten in den nächsten Jahren mit wissenschaftlichen Abhandlungen über die Mondoberfläche oder über die Sonne, den Monden des Jupiters und des Saturns etc., mit denen ich Sie hier nicht langweilen möchte.
Aber über etwas Besonderes muss ich Ihnen, meine hochgeschätzten Damen und Herren, noch berichten, denn es war nicht nur für die Lilienthaler Astronomiegeschichte von außerordentlicher Bedeutung.

Am 20. September 1800 wurde auf meiner Sternwarte unter maßgeblicher Beteiligung von Franz Xaver von Zach aus Gotha, Ferdinand Adolf von Ende aus Celle, Senator Johann Gildemeister aus Bremen, Wilhelm Olbers aus Bremen, Karl Ludwig Harding, meinem Assistenten aus Hamburg gebürtig, und mir die „Astronomische Gesellschaft“ ins Leben gerufen.
Eine Gesellschaft, die es auch heute noch gibt und die zu meiner Zeit der Vielstaaterei in Europa etwas sehr außergewöhnliches war. Wenn Sie mir den Vergleich erlauben: Es war der erste Vorläufer der heutigen Europäischen Gemeinschaft. Diese neu gegründete Lilienthaler Societät hatte zum Ziel, einen zwischen Mars und Jupiter vermuteten, aber noch nicht entdeckten Planeten aufzufinden.
Zur Erreichung des Zwecks wurden die Sternbilder der 12 Tierkreiszeichen, durch welche sich die Planeten im Laufe eines Jahres um die Sonne bewegen, auf die 24 internationalen Astronomen aufgeteilt mit der Auflage, durch ständige Kontrollen und Aufzeichnungen nach einem evtl. Fremdling Ausschau zu halten. Das Amt des Präsidenten fiel mir zu und Franz Xaver von Zach wurde der ständige Sekretär.
Als ganz besonderer Höhepunkt der Gründungsversammlung ist aber der Besuch von Prinz Adolph Friedrich, 1_blick_durch_telescopSohn König Georgs III von England und Hannover, des späteren Generalgouverneurs und Vizekönigs der Hannöverschen Lande eben an diesem Tage in Lilienthal zu bewerten.
Carl Friedrich Gauß, zu der Zeit noch in Braunschweig, trat im Herbst 1801 ebenfalls unserer Gesellschaft bei und wurde mit Wilhelm Olbers drei Jahre später für die ausländischen Geschäfte in den Vorstand berufen.
Die „Astronomische Gesellschaft“ arbeitete mit ihren 24 Astronomen, alle von Weltrang, sehr erfolgreich:
Im Januar 1801 endeckte Piazzi in Palermo einen ersten neuen Planeten, die Ceres. 1802 war Wilhelm Olbers in Bremen mit der Erkundung der Pallas erfolgreich. Harding fand, wie ich schon erwähnte auf der Lilienthaler Sternwarte am 2.September 1804 die Juno. Wilhelm Olbers gelang dann 1807 mit der Vesta noch einmal die
Entdeckung eines Kleinplaneten.
Die 4 neuendeckten Himmelswanderer umliefen die Sonne alle auf ähnlichen Bahnen, und zwar dort, wo bis dahin ein Planet von uns vermutet wurde.
Meine hochverehrten Leser, ich habe Ihnen aus meinem Leben erzählt, vom Aufbau und von der wachsenden Bedeutung der Lilienthaler Sternwarte, alles in einer friedlichen Zeit. Nun muss ich Ihnen einen Brief verlesen, der das Ende der astronomischen Forschungen in Lilienthal einleitete und schwere Zeiten für alle, die in und um Lilienthal herum wohnten.
1807 wurde das Königreich Westphalen unter Hieronymus Napoleon, dem jüngsten Bruder des französischen Kaisers, gegründet. Der Raum des Elbe-Weser-Gebietes, einschließlich Lilienthal, war jedoch bis 1810 noch nicht dazugehörig. Es verblieb weiterhin unter der französischen Besetzung des Generals Mortier.
Dieser General verfasste das folgende Schreiben, welches mich am 7. Dezember erreichte:

An die Hannöverschen Stände:

Meine Herren!
Ich habe von Ihrem Lande Besitz genommen im Namen Seiner Majestät des Kaisers und Königs, meines Allergnädigsten Herren. Die öffentlichen Einkünfte des Hannöverschen werden zu erheben und
die Justiz zu verwalten seyn in Seinem Namen. Alle jeglichen Ortes vorhandene Staatsverwaltungen bleiben
bestehen, so wie sie sich jetzt befinden, es sey denn, dass Seine Majestät der Kaiser ein anderes beschließen würde. Ich ernenne eine Executiv-Commission, bestehend aus drey Mitgliedern, den Herren Patje, Meding und Münchhausen. Diese Commission soll die nemlichen Zuständigkeiten haben, als diejenige, welche schon während meinem Aufenthalte in Hannover errichtet war; dieselbe wird Rechenschaft ablegen und Befehle annehmen von derjenigen Person, welcher von dem Kaiser die Verwaltung Hannovers
aufgetragen seyn wird.
Empfangen Sie, m. H. die Versicherungen meiner ausgezeichneten Hochachtung.
Mortier
Im Hauptquartier zu Hannover, den 12ten November 1806

Diese offizielle Unterrichtung von der französischen Besetzung bedeutete auch, dass ich ein Jahr später mein Amt Lilienthal verlor, weil es als Canton zum Königreich Westphalen geschlagen wurde. Der Rest meiner Geschichte ist schnell erzählt.
Im April 1813 brannten marodierende französische Soldaten Lilienthal fast völlig nieder. Meine Observatorien blieben zwar vom Feuer größtenteils verschont aber halb angekleidet in der Nacht zum 21. April musste ich mit ansehen, wie mein ganzes Privateigentum in Rauch aufging, mit Ausnahme meiner vortrefflichen Handbibliothek, einer kleinen Sammlung kostbarer physikalischer Apparate und einiger Manuskripte und auf eigene Rechnung herausgegebene Werke.
Mein Freund Wilhelm Olbers nahm mich auf, und ich kehrte erst nach Lilienthal zurück, als ich mich einigermaßen erholt hatte. Ich führte zwar meine Amtsgeschäfte als Justizrath und Oberamtmann in Lilienthal weiter, hatte aber nicht mehr die Kraft meine Observatorien neu zu beleben.

Einen Tag vor Vollendung meines 70ten Lebensjahres rief mich der Allmächtige und GRAB~1gnädige Gott am 29. August 1816 zu sich.
Und wenn Sie mich einmal besuchen kommen, an der Westseite der Klosterkirche zu Lilienthal, dann seien Sie bitte leise und verdecken mir nicht die Sicht zu den Sternen.

Meine hochverehrten und hochwohlgeborenen Nachfahren, das ist im Wesentlichen meine Geschichte. Zu meiner Zeit gab es viele Männer, die so wie ich, weder Mathematik, Physik oder Astronomie an Universitäten studiert hatten und doch große wissenschaftliche Leistungen auf diesem Gebiet vollbracht haben. Denken wir nur hier in unserem Raum an Tobias Mayer, der erste große Astronom in Göttingen und Direktor der alten Sternwarte, an Karl Ludwig Harding, meinen Assistenten, der 1805 als Professor der Astronomie von Lilienthal nach Göttingen berufen wurde, um hier eine neue Sternwarte
aufzubauen, an Wilhelm Olbers, an den Fachmann für Kometenbahnen und unsterblich durch das Olber’sche Paradoxon geworden, an Friedrich Wilhelm Bessel, als Professor der Astronomie und Direktor der Sternwarte direkt von Lilienthal nach Königsberg berufen – sie alle hatten keine Naturwissenschaft oder gar Astronomie in Ihrem heutigen Sinn studiert.

Darin liegt wohl ein Teil ihrer Vergessenheit aber wohl auch das Bewundernswerte ihrer Leistungen.

Lilienthal, April 2015
Klaus-Dieter Uhden